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Montag, 28. Juni 2010

Anweisungen aus der Vergangenheit



Hier meine Bericht über das Essen im Rhein-Ruhrzentrum mit Arpard Dobriban „Anweisungen aus der Vergangenheit“. Einen viel ausführlicheren bebilderten Bericht hat Peter Krauskopf in seinem Blog http://genussbereit.blogspot.com/ . Ich beschränke mich auf einige technische Details, die im Blog von Peter nicht zur Sprache gekommen sind.

1. Obstler, Speierlingschnapps, in Ungarn beginnt man das Essen mit einem Schnapps
2. Schinken und Salzgurken mit Boltens Landbier, gelungenes Entrè, deftig, löschte den Durst
3. Gestummte Klees mit Quittenkompott, eine Spezialität aus Pechar/Ungarn. Frittierte kleine Klöse in Fett ausgebacken. Der Quittenkompott war säuerlich, wenig süß und passte hervorragend.
4. Angada abur, eine säuerliche Suppe mit kleinen gefüllten Nudeln als Einlage, einmaliger Geschmack, Spezialität aus den Siebenbürgen.
5. Gefülltes Kraut, mit vielen Kräutern, Tomaten. Durch eine lange Kochzeit, das Gericht wird aufgewärmt, fast kein Kohlgeschmack.
6. Huddel mit Birnen, Hauptgericht: gekochter, geräucherter, durchwachsenen Speck, darauf ein Hefekloß mit Birnen
7. Gekochte Mangoldblätter, mit Bröseln und Zitrone, dieses Gericht steht für die einfache Gemüseküche, die i.d.R. nur Beilage ist.
8. Buchteln, Dampfnudeln, gefüllt mit Pflaumenmus, in der Röhre gebacken, warm mit Vanillesauce serviert.

Die einzelnen Gänge wurden in einem großen Kochmobil zubereitet, das mit 6 Köchen bespielt werden kann Es enthält bis zum Geschirr, Kühlung und Spülmaschine, alles was notwendig ist, um bis zu 80 Gäste zu bewirten.

Arpad Dobriban der Geschmackskünstler aus Ungarn, begleitete das Essen mit sachgerechten Kommentaren. Für ihn sind die wichtigsten Rohstoffe der Küche, Milch, Eier und Mehl. Diese Zutaten sind in fast allen Weltkulturen vorhanden. Daher werden sie zu unendlich vielen Gerichten verarbeitet. Gemüse, Obst und Fleisch treten hiergegen zurück, machen aber in Ergänzung die Hochküchen aus und werden in der einfachen Volksküche als Festagsessen gesehen.

Dobriban hat die servierten Gerichte in seinen diversen Interviews aufgespürt, mit den Informanten nachgekocht, um einen möglichst authentischen Geschmack zu erreichen. Ich hatte hier völlig neue Geschmackserlebnisse, die meinen Geschmackshorizont deutlich erweitert haben.

Völlig neu waren für mich die Suppe „Angada abur“. Diese Suppe wird aus einem selbst hergestellten „Suppenwürfel“ zubereitet. Die Herstellung wie folgt: Milch wird über drei Wochen sauer gelegt, täglich gerührt, es entwickelt sich starke Milchsäure, dieser Käse wird in gleichen Teilen 1:1 gehackte Kräuter wie Sellerieblätter, Petersilie, Liebstöckel u.a. aufgefüllt. Anschließend stark eingekocht und in Häufchen auf einem Blech getrocknet. Diese Kegel sind haltbar und werden bei Gebrauch in Brühe aufgelöst und mit Sahne abgerundet. Der saure Geschmack ist wieder da und wird nicht durch Essig verstärkt.

Bei dem gefüllten Weißkohl fehlte völlig der sonst so penetrante Kohlgeschmack. Erreicht wird dies durch wiederholtes Aufwärmen und das Abschmecken mit Kräutern und Gewürzen. Diese Kochmethode ist bei uns völlig aus der Mode gekommen, da die Vitamine so zerstört werden. Durch die lange Garzeit entstehen neue Geschmacksstoffe, die bei unserer üblichen schnellen Küche gar nicht erst gebildet werden können.

Das Eintopfgericht „Huddel mit Birnen“ und Hefekloß wird tatsächlich nur in einem großen Topfgekocht. Der geräucherte Speck hat natürlich eine lange Garzeit und kann sehr gut am Vortag vorgekocht werden. Der Hefeteig wird separat vorbereitet und zusammen mit den Birnen vor dem Anrichten als Kloß auf das Fleisch gelegt. Im Dampf gart der Kloß und kann dann zusammen mit dem großen Topf auf den Tisch gestellt werden. Das ist Essen in Urform.

Es könnte eine interessanten Aufgabe von Slow Food sein, eine solche Museumsküche mit ihren alten/neuen Geschmacksvarianten wieder zu beleben.

Sonntag, 6. Juni 2010

RUHR.2010 Emscherinsel alte Kläranlage Herne


Als einziger Besucher am Samstag um 11:30 hatte ich Gelegenheit, mir den neuen Magneten der Emscherinsel anzusehen. Der ursprüngliche ca. 20 m hohe Faulbehälter, der vor Jahren stillgelegten Herner Kläranlage, wurde entkernt. In ihm wurde ein Gerüst mit einer Plattform im oberen Bereich geschaffen. Hier findet eine Kinofilmvorführung eines eigens für die Ausstellung geschaffenen Films auf vier Leinwänden statt. Der technische Aufwand und die Umsetzung ist exzellent. Der Film ist in vier Ebenen aufgeteilt, damit entstehen parallele Abläufe, die die einzelnen Szenen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zeigen. Der Ton passt teilweise zu mehreren Szenen, wiederholt sich oft wie ein Echo. Technisch hat mir der Film ausgezeichnet gefallen.


Der Inhalt dagegen war banal. Er stellte das Alltagsleben einer Familie mit Großvater, Eltern und zwei pubertierenden Geschwistern, ausgehend von gemeinsamen Mahlzeiten, dar. Es wurden Konflikte, Sprachlosigkeit, Streit und Zuneigung, dargestellt. Ich hätte mir etwas Surrealistischeres in Verbindung mit der raffinierten Projektionstechnik gewünscht.

Die Mosaike an der Außenseite des Behälters erinnern mich an Sozialistische- oder Chinesische öffentliche Kunst. Es wird der Kampf der Bergarbeiter seit dem 19. Jahrhundert um soziale Gerechtigkeit verherrlicht. Ich hatte angenommen, dies Thema sei überwunden und gehöre der Vergangenheit an. Es gehört wohl zur RUHR.2010, alte Kamellen aufzuwärmen, mangels attraktiver Zukunftsthemen für den Pott.

Mittwoch, 2. Juni 2010

Arpard Dobriban versunkene Geschmackserlebnisse

Ich hatte am Dienstag ein Gespräch mit Arpad Dobriban, einem Düsseldorfer Künstler, gebürtig in Ungarn. Dobrian beschäftigt sich unter anderem mit Geschmackserlebnissen und versucht, die Geschmackserinnerung an die vorindustrielle Küche durch verschiedene Projekte und Veranstaltungen wach zu halten.

Eine solche Veranstaltungsreihe hat er 2007 anlässlich des 400-jährigen Stadtjubiläums in Mannheim durchgeführt. Ein ähnliches Projekt hat er für RUHR.2010 in Arbeit. Er führt mit Senioren Interviews durch, um die Geschmackserinnerungen aus der Vergangenheit zu heben. So sprachen auch wir mehrere Stunden über dieses Thema.

Uns bewegte die Frage, wie hat sich die häusliche Küche verändert, was natürlich auch geschmackliche Auswirkungen hat. Folgende Punkte sind uns aufgefallen:

- Der zeitliche Aufwand für das Kochen ist rapide zurückgegangen

- Dies gilt einmal für die Vorbereitungen, als auch für die Kochzeiten selbst

- Heute wird gesund gekocht, kurze Garzeiten, wenig Fett und sonstige Kalorienträger

- Die Ablehnung der „bürgerlichen“ Küche

- Bevorzugt wird die mediterrane und asiatische Küche, bzw. was der Mitteleuropäer dafür hält

- Im Rahmen der Emanzipation will die Frau nicht mehr hinter dem Herd stehen – dies ist auch neuerdings vor allen bei den jungen, modernen Türkinnen festzustellen, die im Gegensatz zu ihren Müttern nichts mehr mit Kochen zu tun haben möchten.

- Die bestätigt auch eine Umfrage des LVWL in Münster: Was kochen die Westfalen?

- In nur noch 20 % der Haushalte wird überhaupt regelmäßig gekocht, dies dann meistens von den älteren Hausfrauen und Großmüttern

- Dies veränderte Küchentechnik, der Einsatz von Maschinen und Mixern

- Mikrowelle und Dampfgarer haben die Kochzeiten erheblich verkürzt und den Geschmack verändert.

- Die Berufstätigkeit der Frauen und Männer, die geringe Kinderanzahl

- Das große Angebot von Fertiggerichten und Fast-Food an jeder Ecke

- Geschmacksverstärker und künstliche Aromen sind Standard, ohne diese Zutaten schmeckt vielen Menschen das Essen flach und fade

Man kann diese Liste noch vergrößern. Es läuft immer mehr darauf hinaus, Zeit zu sparen, zumal das Essen heute weniger im Mittelpunkt steht. Kaum jemand hat Sorge satt zu werden, im Gegenteil wir leben in einer Überflussgesellschaft, was vor allem das Nahrungsangebot anbelangt. Wir hungern freiwillig, um die Figur zu halten. Der Genuss ist fraglich geworden, im Gegenteil: Dicke Menschen gelten als undiszipliniert und werden eher der Unterschicht zugeordnet.
Bei all diesem Wandel, der kaum gestoppt werden kann, müssen wir sehen, dass durch diese Veränderungen Kulturgut verloren geht. Rezepte kann man dokumentieren und später nachkochen. Hier geht es vielmehr um das persönliche Geschmackserlebnis des Einzelnen. So lehnen Köche, die sich mit Hochküche befassen, generell das „Durch-einander-kochen“ ab, was in der Zeit vor und nach 1945 die Regel war. Durch das separate kurze Garen z. B. in Mikrowelle/Dämpfer erhalten die Komponenten ihren eigenen Geschmack, auch wenn sie später zusammengefügt werden. Daher fällt auch manchen Genießern auf, dass aufgewärmte Gerichte anders/besser schmecken können. Diese Geschmacksveränderung ist typisch für das „Durch-einander-gekochte“ und macht einen wesentlichen Unterschied aus.

Das Anliegen von Arpard Dobriban ist, diese Entwicklung bewusst zu machen und in gemeinsamen Gastmahlen dies zum Erlebnis zu machen. Seine nächste Veranstaltung findet am 26-6-10 im Einkaufszentrum Rhein-Ruhr in Mühlheim statt. Anmeldungen unter http://www.blogger.com/goog_907260990


Im Übrigen beschäftigt dich das Convinium „Mittleres Ruhrgebiet Herne/Bochum in Slow Food Deutschland“, schon seit längerer Zeit mit diesen Themen. Peter Krauskopf, http://genussbereit.blogspot.com/ Food Journalist aus Bochum, hat ein Konzept zur Ruhrgebietsküche erarbeitet und zusammen mit Slow Food verschiedene „Gastmähler“ veranstaltet.